Entwicklung der Schulkleidung in Deutschland 

Vorraussetzungen:

Schule ist kein gesellschaftlicher Leerraum, sondern Schule spiegelt die Gesellschaft wider. Während wir früher deutlich mehr Mitverantwortung füreinander gelebt haben, haben wir im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre von diesem sozial-ethischen Anspruch immer weiter abgelassen. Der Werteverlust und ein Wandel der inneren Haltung hin zu Egoismus und Egozentrik veränderten und verändern immer noch unsere Gesellschaft und somit auch die Schule. Die Stellung des Kindes ist heute eine ganz andere, als noch in den Achtziger Jahren. Durch die eingeschränkte Zeit, die Eltern mit ihren Kindern verbringen können, sind diese mehr sich selbst und anderen Kindern überlassen. Ihnen werden viel zu früh viele Entscheidungen selbst überlassen, mitunter aus der Situation auch abverlangt.


Kinder sind damit zum einen überfordert, zum anderen leiten sie daraus gern ab, dass sie in allem das Recht haben, selbst zu entscheiden. Normen wie Disziplin und Folgsamkeit, dieser Begriff ist durchaus positiv besetzt, wenn man darunter ein Lernverhalten versteht, das sich aus dem Nachfolgen, bzw. dem Nachahmen ergibt, sind dadurch ad absurdum geführt. Und genau das wirkt sich schon bei Beginn der Schulzeit aus: Grundschulen haben es enorm schwer, 25 kleine Prinzen und Prinzessinnen, häufig aber auch mehr, in einem Klassenraum zum Lernen zu bewegen, wenn jedes einzelne Kind von sich glaubt, es sei das Einzige, um welches sich die Lehrkraft zu kümmern habe. Hier müssen nun die Grundlagen für das künftige Schulleben – viel mühsamer als früher – nachträglich gelegt werden. Hierzu zählen vor allem folgende sozialintegrative Wertvorstellungen: 1. Ich lerne zuerst, Disziplin zu halten. 2. Das ermöglicht mir, aufmerksam zu sein. 3. Wenn ich aufmerksam zuhöre und beobachte, kann ich Fragen stellen. 4. Wenn ich frage, bekomme ich Antworten. 5. Antworten helfen mir, die Dinge zu verstehen. 6. Ich lerne, was richtig und falsch im Umgang mit anderen Menschen bewirkt. 7. Ich lerne, mich mit dem was ich erfahre, auseinanderzusetzen. 8. Ich erkenne, dass ich etwas verändern kann, wenn ich bereit bin, mich fair gegenüber der Gemeinschaft für meine Sache einzusetzen.


Schule bereitet auf das Leben, so auch auf das Berufsleben vor. Wie soll sich aber nun ein Jugendlicher später in eine Ausbildungssituation einfinden, wenn er weder Disziplin noch das Einhalten von Regeln gelernt hat? Schon in dieser Verantwortung kann Schule kein Freiraum für Chaos und Laisser-faire sein. Selbstverständlich müssen aber auch Lehrer in ihrer Vorbildfunktion bereit und in der Lage sein, sich zu 100% einzubringen. Meiner überzeugung nach müssen wir uns deshalb bemühen, möglichst rasch zu einem neuen, an frühere positive Normen anknüpfenden Wertekanon zu finden, in welchem Takt, Umgangston, Sprache, Stil und ästhetik wieder wesentliche und vor allem ernst zu nehmende Elemente darstellen. Eine große soziale Verbindlichkeit muss wieder in kultivierten Umgangsformen und einer sozialen Einordnung deutlich werden. Ein hohes Lehrerengagement ist hierfür eine wesentliche Grundlage. Schulen arbeiten heute weit gehend autonom. Jede Schule muss sich ein unverwechselbares Schulprogramm geben, das sie von anderen Schulen unterscheidet, zu denen sie im Wettbewerb steht. So ist es nur logisch, dass eine besondere Bindung des einzelnen Schülers an seine Schule in solchen Programmen beabsichtigt ist. Einheitliche Schulkleidung ist ein Baustein in diesem Bestreben. In vielen Ländern der Erde gibt es bereits seit langem solche – meist verordnete – Schuluniform oder zumindest besondere Accessoires, die ein einheitliches Erscheinungsbild in der Kleidung andeuten. Viele Staaten der USA, wo Bildungspolitiker die großen sozialen Unterschiede auf diese Weise zu nivellieren suchen, sind inzwischen ebenfalls zu Schuluniformen übergegangen. Durch unsere Geschichte bedingt, haben wir in Deutschland eine äußerst komplizierte Wertevielfalt, wodurch sich solche länderspezifischen Modelle des Auslands nicht ohne weiteres übertragen lassen. Ich denke aber, dass die Einführung von Schulkleidung in jedem Falle wünschenswert ist. Eine Differenzierung nach Altersgruppen kann sich aus pädagogischer Sicht anbieten

Was sollte eine einheitliche Schulkleidung bewirken können?

1. Wie in Sportvereinen und anderen Interessengruppen wächst in Schulklassen das Zusammengehörigkeitsgefühl. Ein erhöhtes Wir-Bewusstsein der Schüler untereinander entwickelt sich besser.

2. Das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit wird gestärkt.

3. Ein vernünftiges Maß an Stolz auf die Klasse, bzw. auf die Schule und damit auch auf sich selbst entsteht. Nobelinternate nutzen dieses Prinzip schon immer.

4. Es entsteht Verantwortungsbewusstsein für ein besseres Verhalten außerhalb der Schule.

5. Die Integration von Neuzugängen durch Zuzug oder Schulwechsel wird leichter.

6. Erziehung zu einem Konsumbewusstsein wird damit reales Schulprogramm.

7. Ausgrenzungen durch „Markenzwang“ fallen weg (Stichwort ALDI-Kinder). Schüler aller Gesellschaftsschichten haben somit bessere Chancen, sich frei vom „Uniformierungszwang“ durch Markenkleidung zu entwickeln. Ein „Sich-Definieren“ durch Markenkleidung ist nicht mehr möglich.

8. Durch Neid bedingte Kriminalität, das so genannte „Abziehen“ der Kleidung, entfällt.

9. Eine „Modenschau“ im Unterricht gibt es nicht mehr. Der Vergleich von 11-Jährigen, wer das tollste Bauchnabelpiercing aufweist, ist im Schulalltag absurd.

Eine Studie des kriminologischen Forschungsinstitutes in Niedersachsen (Wetzel, Enzmann, Pfeiffer) belegt, dass aufgrund ihrer sozialen Lage besonders Jugendliche nichtdeutscher ethnischer Gruppen dazu neigen, Gewalt auszuüben und durch „Abziehen“ sich beschaffen, was sie glauben haben zu müssen. Wenn dagegen jeder Einzelne erkennen kann, dass er selbst aufgrund seiner Persönlichkeit zählt, dass er sich nicht durch Markenkleidung aufwerten muss, um dazuzugehören, werden soziale Unterschiede zumindest während der Schulzeit unwichtig. Die Fälle von so genanntem „Abziehen“ würden zurückgehen.


2000. Die Klasse 5b in der Haupt- und Realschule Sinstorf / Hamburg

Aus den angeführten Gründen entschloss ich mich im Jahre 2000, in meiner neuen 5. Klasse einheitliche Schulkleidung einzuführen. Schulleitung und Elternrat gaben hierzu ihre volle Unterstützung, ohne die dieses pädagogische Anliegen gar nicht durchzusetzen gewesen wäre. Durch ein überwältigendes Medieninteresse hat unsere Aktion bundesweit Diskussionen auf allen Ebenen freigesetzt. Wir haben von Beginn an sehr viel positive Resonanz erhalten.

Politik

Aufgrund dieses öffentlichkeitsinteresses war ebenfalls die hiesige Bildungspolitik gefordert, zu dem Thema Stellung zu beziehen. Es hat 2000 eine kleine Senatsanfrage seitens der Hamburger CDU gegeben (Herr Hesse, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft). Danach wurde folgende Feststellung getroffen wonach dem Senat….

1. eine einheitliche Schulkleidung tolerierbar erschien, wenn kein Druck gegen Anders-Denkende entstünde (Grundgesetz Art. 2 / Abs.1 )

2. eine Kostenbeteiligung nicht möglich wäre

3. keine anderen staatlichen Schulen oder Klassen darin bundesweit bekannt wären, die einheitliche Schulkleidung mit täglicher Tragepflicht hatten

Daraus war nicht wirklich Unterstützung gemeinschaftlicher Schülerkleidung abzulesen.

Dieses hat sich auch nach dem Regierungswechsel nicht gleich geändert. Mehrere Ansprachen an den damaligen Schulsenator Lange blieben ohne Resonanz.

Im Juni 2003 fand schließlich ein Gespräch mit Vertretern aller Parteien zum Thema Schulkleidung in Hamburg statt. Eine erneute Anfrage seitens Herrn Hesse (CDU) an den Senat war in Arbeit.

Im Februar 2005 beabsichtigt Die CDU, der Bürgerschaft erneut einen Antrag zur Förderung einheitlicher Schulkleidung besonders in Grundschulklassen vorzulegen. Im Mai 2005 beschloss die Hamburger Bürgerschaft, Schulkleidung in Hamburg zu fördern. Interessierte Grundschulen sollen ab 2006 Unterstützung erhalten. Ein Konzept ist in Arbeit.

An finanzielle Bezuschussung ist nicht gedacht.

Erfahrungsbericht

Die Klasse 5b startete im Jahre 2000 mit 19 Schülern aus 7 verschiedenen Grundschulen. Während die Mädchen unauffällig blieben, zeigten sich 7 Jungen stark verhaltensauffällig bis -gestört. Durch guten Kontakt zu den Grundschulen bestand Erfahrungsaustausch in Bezug auf erzieherische Probleme und Hintergrundwissen. Die Klasse wuchs rasch auf 28 Schüler an: Deutsche, Türken, Kurden, Russen, Inder, Afghanen und Griechen. Einige Jungen blieben ohne Lern- und Arbeitsdisziplin. Sie ließen nicht ausreden, schrieen dazwischen, gröhlten während des Unterrichtes laute Lieder, liefen herum oder riefen quer durch den Raum. Einige zeigten wenig Achtung, weder vor Erwachsenen, noch vor Kindern. Distanzlosigkeit wurde deutlich. Diese Kinder konnten sich nicht konzentrieren oder dem Unterricht folgen. Sie waren in sich so unruhig, dass sie keine ausreichende Aufmerksamkeit im Unterricht aufbringen konnten. Disziplinregeln, die es zu üben galt. Aus der Grundschulzeit brachten viele Diskriminierungserfahrungen und schlimme Ausgrenzungserlebnisse mit, die sie zu kompensieren hatten. Die Kinder mussten deshalb zunächst verstehen lernen, wodurch ihr Fehlverhalten für sich und andere nachteilig war. Erst wenn sie zu diesen Einsichten kommen, können sie wichtige Lernschritte als Erfolg erleben und damit Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. D.h., sie müssen in bestimmten Erfahrungsetappen kontrollieren lernen, was sie tun können oder lassen sollten. Mittels Supervision – wir haben die Kinder im Unterricht gefilmt – wurde den Eltern und den Schülern aufgezeigt, wie bestimmte Verhaltensmuster und daraus resultierende Konsequenzen ablaufen. Die Schüler lernten auf diesem Wege, sich in einer neuen Klasse einen Platz zu schaffen, ohne dabei andere auszugrenzen. Vor diesem Hintergrund sollten die Schüler der 5b von Beginn an Schulkleidung tragen. Daraus ergaben sich für mich folgende beobachtbare Resultate: Obwohl die Eltern zu 100% begeistert von der Schulkleidung waren, fühlten sich einzelne Schülerinnen zu Beginn nicht sehr wohl. Es war sehr ungewohnt für sie, morgens nicht nach den schicksten Kleidungsstücken zu greifen, sondern die schlichten grünen Pullover und Polohemden oder die weißen T-Shirts anzuziehen. Nach ein paar Wochen hatten sich fast alle an die Schulkleidung gewöhnt. Manche empfanden es sogar als Erleichterung, morgens nicht vor dem Schrank stehen und suchen zu müssen. Annika: „Zuerst fand ich das ja blöd. Besonders, weil die Pullis grün sind. Aber jetzt ist es OK. Das geht morgens viel schneller. Ich muss nicht mehr so früh aufstehen.“ Zwei Jungen versuchten immer wieder, den Entschluss zu unterwandern. Sharif, ein kurdischer Schüler mit 7 Geschwistern, kam immer wieder einmal in Kleidung mit großen aufgedruckten oder -gestickten Markenlogos. Er trug gern knallrote oder sogar weiße Jacken und Sweatshirts. Die Klassenkameraden rügten dieses Verhalten. Sie konnten Sharifs Haltung nicht einsehen. Einmal haben wir ihn nach Hause geschickt, damit er sich umzog. Patrick, der mit seinen zwei Geschwistern im Heim lebte, trug hin und wieder private Kleidung. Manchmal fand er seine Schulkleidung nicht, manchmal vergaß er, sie anzuziehen. Offenbar fehlte dort im Hause die Fürsorge für das einzelne Kind. Man war mit Wichtigerem beschäftigt, als mit dem Erscheinungsbild der Kinder. Jan, zu der Zeit mittlerer Bruder von 7 Geschwistern, fühlte sich gleich sehr wohl in Schulkleidung. Er erzählte uns von Ausgrenzungen an der Grundschule, wo er als „ALDI-Kind“ bezeichnet worden war. Jan: „Ich finde Schulkleidung gut. Da sind alle gleich und keiner wird ausgegrenzt.“ Andere Kinder waren von der Beschaffenheit der Sweatshirts begeistert. Sumir: „Die trage ich gern, weil sie so kuschelig sind.“ Trotz der schwierigen Klassenstruktur, gliederten sich Neuzugänge erstaunlicher Weise sofort und ohne Probleme ein. Sie wurden jedes Mal „absorbiert“, als wären sie schon immer dabei gewesen. Die Schüler waren schwierig zu unterrichten, weil die „Auffälligen“ den Unterricht teilweise unmöglich machten, worunter die anderen sehr litten. Als Gruppe waren sie jedoch durch die einheitliche Kleidung homogen. Ich fasse zusammen:

1. Es bildete sich ein Zusammenhalt

2. Das Gruppengefühl wuchs.

3. Neu hinzukommende Schüler integrierten sich mühelos in die Klasse

4. Ausgrenzungen aufgrund von Kleidung fanden nicht statt.

5. Das Konkurrenz betonende „Modenschau – Phänomen“ war ausgeschlossen, obwohl auch weiterhin Schuhe, Hosen, Jacken selbst bestimmt ausgewählt wurden. Die Kinder trugen ja nur einheitliche Oberteile.

6. Die Schüler fühlten sich nach eigenem Bekunden in einheitlichen Pullis wohl.


Pubertät

Die beginnende Pubertät stellte dann eine zunehmende Erschwernis dar. Die Mädchen versuchten, Nischen zu finden. Sie probierten Frisuren aus, trugen modische Hosen. Wir machten ein Schmink-Projekt. Jedes Mädchen brachte alles mit, was es an Kosmetik und Schminke hatte. Zu Beginn stellten wir fest, dass jede irgendwie hübsch war. Maren hatte sehr schöne Augen, Janina schön geschwungene Lippen, Ramona tolles Haar…. Wir verabredeten beim ersten Anlauf, dass jede Schülerin sich so schminken sollte, wie sie es schön fand. Dann begutachteten alle das Ergebnis. Gemeinsam kamen wir zu der Erkenntnis, dass jede ihr Schönstes betont hatte, es wurde aber auch deutlich, dass manche übertrieben hatten. So lernten die Mädchen den Unterschied von Disco-Bemalung und dezenter Schminke, die in der Schule angemessen ist. Beim zweiten Anlauf verschönerten sie sich dann gegenseitig und waren sehr großzügig mit Lob für die Anderen. Einige Jungen wollten „cool“ sein, Baggy-Pants tragen. Besonders Jungen aus sozialschwachen, kinderreichen nichtdeutschen Familien fühlten sich in dieser Klasse der „Gleichen“ nicht sichtbar. Sie versuchten hin und wieder durch das Tragen von „In-Klamotten“ aufzufallen. Die Klasse rügte und hinterfragte das jedes Mal. Am Ende der 6. Klasse hatten die Schüler der 6b sich das Grün ihrer Schulkleidung zum Teil übergesehen. Sie wünschten sich eine andere Farbe. Das große, weiße Schullogo war ihnen peinlich. Einige wechselten nach dem Unterricht die Kleidung. Besonders belastend schien, dass es nur drei verschiedene Kleidungsstücke gab, so dass hauptsächlich das Sweatshirt getragen wurde. 

2002 – Neue Farben, neue Kleidung für „Die Großen“

Ich entwarf ein neues Bekleidungskonzept. Dieses stellte ich einer Planungsgruppe aus meiner zukünftigen 7. Realschulklasse vor. Die Schüler entschieden sich für Oberteile in navy-blau und weiß. Wir einigten uns auf ein Sweatshirt mit Seitenschlitzen, das Mädchen diesen Alters besser steht, als eines mit Bündchen, eine Kapuzenjacke, Polohemden mit kurzem oder langem Arm, T- Shirts, taillierte T-Shirts für Mädchen mit langem oder kurzem Arm. Einige Mädchen wünschten sich einen Rock. Das Schullogo sollte für die neuen Teile auf ein stilisiertes „S“ für Sinstorf reduziert und Ton in Ton eingestickt werden, weil die Schüler den starken Plakatcharakter des weißen Aufdruckes für ihr Alter nicht mehr angemessen fanden. Mit Beginn des neuen Schuljahres trug die Klasse R7 die neue Schulkleidung. Die Jugendlichen fühlten sich von Anfang an sehr wohl darin. Einige Anmeldungen für diese Klasse erfolgten wegen der Schulkleidung. Die Eltern nahmen einen weiteren Schulweg für ihre Kinder in Kauf. Von 28 Schülern sind nur 13 aus der ersten Phase übergeblieben. Für alle anderen war es eine neue Erfahrung. Von Beginn an herrschte ein starkes WIR-Gefühl. Die Schüler suchten sich keine Ersatzschauplätze, wie Handys, Schuhe, etc. Das Thema „Kleidung“ existierte für sie nur noch als Unterrichtsthema. Die Akzeptanz dieser modernen – nicht modischen! – Teile war groß. Ungewöhnlich für eine 7. Klasse war das enge Miteinander der Schüler. Viele trafen sich nachmittags. Jungen und Mädchen halfen einander, lernten miteinander. Es gab kein pubertäres Gezicke. Das Klassenklima war sehr „warm“. Als wir erfuhren, dass Marens Mutter die vergangene Nacht nicht überlebt hatte, packten wir die Schulsachen ein, kochten Tee und setzten uns zusammen. In kleinen Gruppen, redeten die Jugendlichen über den Tod, über eigene Verluste. Viele weinten. In echtem Mitgefühl kümmerten sich Schüler rührend um Maren. Sie kam täglich in die Schule, trotz des Angebotes, zu Hause zu bleiben. Die Klasse verhielt sich wie eine „Familie“. Zur Beerdigung, die in den Ferien lag, gingen Klassenkameradinnen in Schulkleidung. Auch die Eltern der 7. Hauptschulklassen entschieden für ihre Kinder weiter das Tragen einheitlicher Kleidung. Leider hatten sie wenig Einfluss und die Hauptschüler hielten nicht durch. Sie gaben weiterhin dem Drang nach Außenwirkung nach. Das Bedürfnis, sich durch Kleidung darzustellen, die z.T. Popstars oder Soapfiguren abgeschaut war, war groß. Dabei überwogen Stil- und Geschmacklosigkeit. Einige Mädchen kleideten sich für die Schule ausgesprochen unangemessen (extrem bauchfrei, große Ausschnitte, etc.). Viele versuchten weiterhin, sich durch das Tragen großer Markenlogos aufzuwerten. Es zeigte sich, dass es hier sehr engagierter Lehrkräfte und eingehender Arbeit am Thema bedarf, um einfacher strukturierte Schüler zu mehr Selbstwertgefühl zu führen. Sie müssen lernen, dass sie selbst wichtig sind, nicht aber die Rolle, die sie zu spielen versuchen. Nicht das Kostüm zählt, sondern das Verhalten.


2003 – Wir erweitern die Auswahl

Die Schüler meiner jetzt 8. Realschulklasse wirkten bei der Auswahl neuer Kleidung mit. Es kamen vor allem Retro-Jacken mit und ohne Kapuze, sowie Strickjacken und Pullover in die Kollektion. Insgesamt konnten ab dem nächsten Schuljahr 25 verschiedene Oberteile bestellt werden, sodass sich jeder Schüler typgerecht und nach seinen Tragegewohnheiten kleiden konnte. Es ist ganz wichtig, dass die Schüler sich mit Schulkleidung nicht verkleiden, sondern ganz sicher fühlen. Die grüne Schulkleidung wurde jetzt ganz eingestellt, da diese Farbe nicht die Akzeptanz der Schüler hatte. Vom neuen Schuljahr an, würden auch die Schüler der Beobachtungsstufe blau und weiß tragen, allerdings mit einer eingeschränkten Auswahl. Die inzwischen 13 – 15 jährigen Schüler erarbeiteten folgende Themen:

– „Global Marketing“

– „Macht der Marken“

– „Was macht das Tragen von Markenlogos mit den Kindern und Jugendlichen?“

– „Wie entstehen Trends?“

– „Wie viel kostet Kleidung?“ 

– „Wie viel verdienen die Arbeiterinnen in der dritten Welt, die z.B.

Markensportschuhe herstellen – was kostet der Schuh in der Herstellung? – wie hoch ist der Verkaufspreis?“

– „Wie kleidet man sich angemessen?“

– „Bauchfrei in der Schule?“

– „Schulkleidung macht Sinn.“

2004 – 12 Klassen sind eingekleidet

Dr. Oliver Dickhäuser von der Justus-Liebig-Universität Gießen, Fachbereich Psychologie, führte eine wissenschaftliche Studie zum Tragen einheitlicher Schulkleidung durch. Diese erfasste im Vergleich Schüler mehrerer Klassen an zwei Nachbarschulen, die regelmäßig Schulkleidung trugen, sowie andere ohne Schulkleidung. Deutlich bewiesen wurde, dass die Kinder mit Schulkleidung den Schulalltag in vielerlei Hinsicht positiver erleben, als die anderen. Die Erfahrung hat außerdem gezeigt, dass durch das Fehlen von Mobbing und Ausgrenzung die Fehlzeiten durch psychosomatische Krankheiten in Schulkleidungsklassen äußerst gering sind. Die Schulkleidung hat sich in Sinstorf im Jahre 2004 auf 12 Klassen ausgedehnt. Immer mehr Lehrkräfte erscheinen in Schulkleidung. Die Akzeptanz wächst. 


Februar 2005

Die CDU beabsichtigt, der Bürgerschaft erneut einen Antrag zur Förderung einheitlicher Schulkleidung besonders in Grundschulklassen vorzulegen.

Mai 2005 

Die Hamburger Bürgerschaft hat beschlossen, Schulkleidung in Hamburg zu fördern. Interessierte Grundschulen sollen ab 2006 Unterstützung erhalten. Ein Konzept ist in Arbeit. An finanzielle Bezuschussung ist nicht gedacht. In Sinstorf sind inzwischen alle 400 Schüler eingekleidet. 

Ausblick auf 2006

Die Kollektion der Styles in Sinstorf wird eine Straffung erfahren. Es zeichnet sich ab, dass noch in diesem Jahr „richtige“ Schulkleidung auf den Markt kommen wird, die als Arbeitskleidung für Schüler und Lehrer produziert wird:

gute Qualität für tägliches Tragen

aktuelle Schnitte

moderne Styles

niedrige Preise

einfache Logistik

Damit wird Schulkleidung zu einer eigenen Marke, die den Eltern hilft, deutlich Kleiderkosten zu sparen.

2007 – Bessere Logistik

ußerst ansprechende und trendige Schulkleidung von guter Qualität, speziell für die Ansprüche der Schüler und Schulen, kommt zu angemessenen Preisen auf den Markt. Alle Bedarfe, auch Hosen, Röcke oder Blazer, können jetzt gedeckt werden. Schulen haben die Möglichkeit, sich durch individuelle Schulkleidung das Aussehen zu geben, das sie wünschen. Ausgedehnte Vertriebsnetze machen die Belieferung von Schulen bundesweit möglich. Die Kleidung wird in Schülerbags verschickt. Das ermöglicht eine rasche Verteilung ohne großen Arbeitsaufwand und die Schule muss nicht Berge von Textilien sortieren.


Fazit

Schulkleidung löst mit Sicherheit nicht alle Probleme in Schule und Unterricht. Sie ist aber ein wertvoller Baustein in einem Konzept zur Schaffung von positivem Lernklima und besserer Schulatmosphäre für alle Beteiligten. So kann Schule ein Ort des Erfahrens, des Miteinanders, des übens und Lernens von sozialem Verhalten und des Erwerbs von Sozialkompetenz sein. Schüler lernen darüber hinaus auch ein kritisches Konsumverhalten. So entwickeln sie ausreichend Selbstwertgefühl, um Konsumzwänge ablegen zu können. Suchtpotentiale werden weniger ausgeprägt. Schüler werden freier, wenn sie die Bekleidungszwänge durch teure Marken oder Gesinnungsüberzeugungen überwinden lernen. Schule ist kein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Sich in egozentrischer Selbstdarstellung zu feiern und neugierig zu sein auf Unterrichtsinhalte, schließen sich gegenseitig aus. Wenn Schule aber nicht zu einem Fun-Park der besonderen Art verkommen will, sollte sie dieses Entertainment auch nicht unterstützen. Einheitliche Schulkleidung ist aus diesem Grund sehr hilfreich, Schüler gesellschaftsfähig zu machen. Man sollte damit möglichst bei der Einschulung beginnen. Als Lehrerin wünsche ich mir, dass Kinder und Jugendliche die Schule als ihren Arbeitsplatz begreifen. Die Steuerzahler haben ein Recht auf Effizienz dieses Arbeitsplatzes, denn das ist es, was Deutschland momentan am nötigsten braucht: Effizienz. Der Arbeitsmarkt ist härter denn je, und es ist zu befürchten, dass er sich noch verschärfen wird. Deswegen brauchen unsere Schüler mehr Wissen, bessere Lernstrategien und Sozialkompetenz, um in das Erwerbsleben einsteigen zu können. Die Schule ist ein Ort des Lernens. Wir dürfen uns nicht scheuen, hier Disziplin und Leistung zu fordern. Schulklassen sind Zwangsgemeinschaften, die sich die Kinder nicht aussuchen können, in denen sie aber mehrere Jahre arbeiten müssen. Ausgrenzung wegen nicht getragener Markenkleidung, Anmache und sexuelle Phantasien wegen entblößter Körperteile stören den Arbeitsplatz Schule. An meiner Schule in Hamburg-Sinstorf habe ich die Erfahrung gemacht, dass einheitliche Schulkleidung ein deutliches Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt und die Integration in die Lerngruppe sehr beschleunigt. Egozentrische Selbstdarstellung kommt am Vormittag nicht mehr vor. Im Unterricht arbeiten wir an Modefragen und Trends. Die Suggestion der Marken wird für die Schüler durchschaubar. Schulkleidung hat in Sinstorf inzwischen bei allen 400 Schülern Akzeptanz, weil sie das Thema selbst erarbeiten und an der Zusammenstellung ihrer Arbeitskleidung, nach ihren Bedürfnissen, ihren Tragegewohnheiten und ihrem Geschmack mitwirken. Die Qualität ist für alle die Gleiche – anders als in Großbritannien, dem Land der Schuluniformen. Cashmere und Polyacryl spiegeln dort den Kleideretat der Eltern in den Klassenraum. In Hamburg-Sinstorf identifizieren sich die Schüler mit „ihrer Schulkleidung“, die zwar in Farbe und Logo festgeschrieben, in der Auswahl aber frei und typgerecht zu wählen ist. Schulkleidung ist ein guter Weg zu besserem Miteinander und einem guten Klassenklima – und das ist notwendig zum gemeinsamen Lernen. Schüler sind frei vom Druck der Marken und modischen Zwängen und lernen, sich adäquat zu kleiden. Sie entwickeln ihr ganz individuelles Selbstwertgefühl. Schulkleidung entlastet zudem das Budget der Elternhäuser. Sie ist erheblich preiswerter als Markenkleidung. Schulkleidung wird als Arbeitskleidung in der Schule begriffen. Sie soll keine Ideologie gegen Markenprodukte sein. Die Schüler in Sinstorf lernen deshalb auch, sich verschiedenen Anlässen gemäß, adäquat zu kleiden. Das Auftreten in der Gesellschaft soll angstfrei sein. Nur wer sich wohl fühlt, nur wer weiß, dass er richtig angezogen ist, kann aus sich herausgehen und zeigen, was er kann. Der erste Eindruck ist immer der Entscheidende. Beim Eintritt in die Berufswelt will auch das gelernt sein. United Look – mit Schullogo – ein Trend für positives Lebensgefühl in einer modernen Schule. Karin Brose,

Studienrätin an der Haupt- und Realschule in Hamburg – Sinstorf,

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